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Give me back my innocence (2)

in Outsider´s Room 13.04.2010 15:21
von Pierrot_307 • Pie-Rat (Kuchenratti) | 235 Beiträge

Sechste Klasse: Schullandheim-Schocker, oder: Sie war, ist und bleibt die „Doofe“

Ende der 5ten hatte mein Klassenlehrer einmal zu mir gesagt, dass es ihm so vorkommt, als hätte ich noch nicht so richtig Anschluss gefunden. Ich ließ mir jedoch nichts anmerken und tat, als sei alles in Ordnung. Im Herbst des selben Jahres zogen wir innerhalb meiner Heimatstadt um und zwar in ein Haus, dass von Eltern einer Klassenkameradin vermietet wurde. Mit ihr hatte ich bisher noch nicht viel Kontakt gehabt, da sie eher ruhig und zurückhaltend war und ich nicht so Recht wusste, was sie von mir hielt. Aber während der Hausbesichtigung tasteten wir uns ein wenig an einander heran und ich war froh, dass ich ausnahmsweise jemanden in meiner Klasse hatte, zu dem ich vielleicht sogar eine Freundschaft aufbauen konnte. Nach dem Umzug lief ich jeden morgen mit Nina, eine der „coolen“ Mädels in die Schule, zu ihr fand ich den Kontakt jedoch nicht so recht. Wir redeten zwar mit einander, aber Freundschaft ergab sich daraus nicht wirklich.
Kurz vor dem Schullandheim bekamen wir eine Neue: Ella. Anfangs fand ich sie nett und dachte vielleicht kannst du ja mit ihr Freundschaft schließen. Doch das war schneller vorbei als mir lieb war, fand sie doch auch Anschluss an die „coolen“ Mädels und ich blieb alleine.
Mir graute vor allem vor dem Aufenthalt im Schullandheim, da ich nicht wusste, mit wem ich (wenn überhaupt) ins Zimmer kam und ob mich überhaupt jemand wollte. So überraschte es mich gleichermaßen wie es mich erstaunte, dass die „coolen“ Mädels fragten, ob ich nicht zu ihnen kommen wolle. Natürlich willigte ich ein, wollte nicht, dass sie jemand anderen fanden. Und zum ersten Mal freute ich mich ein wenig aufs Skifahren. Doch mir war nicht bewusst, dass dieser Aufenthalt alles andere als schön werden sollte. Ich fasse mich am besten kurz und erwähne hier nur die wirklich relevanten Vorkommnisse:
Auf der Rückfahrt vom Skihügel (es war so ungefähr in der Hälfte unseres Aufenthaltes) hörte ich Nadine im Sitz hinter mir, wie sie über mich lästerte. Ich habe keine Ahnung, ob ihr bewusst war, dass ich vor ihr saß, Tatsache war, dass sie Dinge, die ich Tags zuvor gesagt hatte, total verdreht wurden, sie Sachen dazu erfand, wohl nur, um mich fertig zu machen. Keine Ahnung warum, ich hatte nie viel mit ihr zu tun und hatte sie auch noch nie geärgert. Keine 5 Minuten später erzählte sie, dass ein Mädchen an ihrem Esstisch (an dem ich auch saß), kleine Sülzepunkte aus ihrer Wurst herauspulte, mit einem großen Vespermesser und jemand aus Spaß gefragt hat, ob sie eine Pinzette brauche. Ich erinnere mich deshalb so gut daran, weil ICH es war, die gesagt hatte: „Soll ich dir eine Pinzette holen?“ und jetzt war ich irgendjemand, weil sie nicht in einer Tour über mich lästern und im Nachhinein noch loben wollte.
Gegen Ende unseres Aufenthaltes gingen wir in einem Einkaufscenter shoppen, in dem es alles Mögliche gab. Damals sammelte fast jeder in der Schule diese Diddl-Blätter, und ich kaufte mir einen Pack Briefpapier, den ich noch nie gesehen hatte. Keinen halben Tag später bemerke ich, dass ein Umschlag und ein Papier fehlten. Zufällig sah ich dann, als Ella in ihrem Ordner blätterte, dass sie da rein „zufällig“ diesen Umschlag und das Papier hatte. Sie stritt das natürlich ab, und ich suchte auf eigene Faust ihren Ordner durch, hatte aber nicht genug Zeit und fand es auch nicht.
Darüber hinaus verging sie sich an meinen Süßigkeiten, machte meine Minitaschenlampe kaputt und stahl mir vermutlich meine letzten 15 Mark. Dafür habe ich keinerlei Beweise, aber sie war die Einzige, die scheinbar ständig an meinen Schrank ging.
Irgendwann war mir einfach alles zuviel und, als ich in einem 3er Lift alleine hochfuhr (obwohl hinter mir noch einige Klassenkameraden standen, die jedoch „getrödelt“ hatten) konnte ich nicht anders, und fing hemmungslos an zu weinen. Oben auf dem Berg sah das dann Gott sei Dank niemand mehr, aber besser fühlte ich mich hinterher nicht. Es war mir ein Rätsel, warum jeder auf der Meinung bestand, ich sei dumm, verkorkst, nicht ganz richtig. Ich war einfach nur froh, wieder zuhause sein zu können, einen Ort zu haben, an den ich mich zurückziehen konnte und wo mir niemand etwas stahl.

Doch in der Schule ging es gerade so weiter: Im Kunstunterricht „verschönerte“ man meine Bilder, wenn ich mal auf die Toilette ging, man versteckte wieder meine Sachen und (das schlimmste für mich bisher) die „coolen“ dichteten Schwulenlieder über mich. Nein, ich hab mich nicht verschrieben, ich weiß, dass ich eine Frau bin, dennoch schrieben sie Schwulenlieder. Ich kann mich nicht mehr genau an den Text errinnern, es war etwas in der Art: Ich wäre schwul, aber das macht ja nichts, es gibt ja OP´s, dann komm ich wieder raus und alles wäre geritzt… hahaha… fand ich nicht wirklich witzig.
Doch es kam NOCH härter: Einmal in einer Pause stand ich mit Ronja und einem Mädchen aus der 5ten zusammen und redete ein wenig mit ihnen. Ronja hatte sich einen großen Schokokuss gekauft, den sie gerade Richtung Mund führte, als das andere Mädchen ihr mit der flachen Hand diesen auf den Mund klatschte. Es war nur aus Spaß, wir drei lachten und ich tat so, als würde ich die ganze Pampe in ihrem Gesicht verreiben.
Nach der Mittagspause (die ich daheim verbrachte) lief ich die Treppe zu meinem Klassenzimmer hoch, als mir plötzlich von hinten jemand jeweils einen Schokokuss auf die Schläfen klatschte, voll in die Haare. Die ganze verdammte Klasse war versammelt, die meisten lachten. Als ich fragte, warum die das denn getan hätten, meinte jemand: So was hast du mit Ronja doch auch gemacht!
Mit bereits weinerlicher Stimme meinte ich, dass ich das doch gar nicht gewesen sei, doch anstatt einer Entschuldigung meinten sie schulterzuckend: Ach so… ja dann… und gingen zum Klassenzimmer. Kein „Entschuldigung“ oder Ähnliches, einfach nur „ja, dann…“. Ich rannte schnell auf die Toilette, wo ich heulend versuchte, die ganze Pampe aus meinen Haaren zu bekommen. Ich konnte nicht mehr, das war so ziemlich das Schlimmste, woran ich mich in der 6ten Klasse erinnern kann. Danach verschwamm diese ganze Sache, ich weis nicht mehr genau, wann was genau war. Ich wurde abwesend, träumte die meiste Zeit vor mich hin wenn ich alleine war und geriet immer mehr ins Abseits. Mir fiel auch auf, dass ich mich dementsprechend benahm, wie es meine Mitschüler von mir erwarteten. Ich konnte nicht anders, ich war in ihrem Netz gefangen und schaffte es nicht mehr, mich anders zu benehmen, da das ja eh als „abnormal“ oder „krank“ bezeichnet wurde…
Selbst aus der Nase bluten war bei mir nicht normal, nein. Es dauerte nicht lange da schrie jemand: „Hei guckt mal! Die hat ja ihre Periode durch die Nase!!“
Ich bin ja eigentlich die Letzte, die was gegen kreative Leute hat, aber was Mobbing angeht wäre es mir Recht gewesen, meine Mitschüler wären einfallslos gewesen.
Was sich während meines 12ten Lebensjahres auch immer mehr häufte, das waren die Auseinandersetzungen mit meiner Mutter. Kennt ihr den Spruch: Pubertät ist, wenn Eltern anfangen, schwierig zu werden? Das trifft haargenau auf mich zu. Ich kann von mir behaupten, dass ich nahezu keine Pubertät hatte, weil ich mich nicht traute, „aufzumucken“. Der Grund hierfür liegt bei meiner Mutter: Sie bestand darauf, dass ich ihr beim Haushalt etwas half. Soweit ja in Ordnung, wenn ich das aber alles machen soll, ohne es gesagt zu bekommen, dann wird die Sache natürlich um einiges komplizierter. Gedankenlesen war noch nie meine Stärke, versteht sich, und in meinem Leben habe ich mir oft gewünscht, es zu können. Einfach deshalb, um nicht wieder grundlos angeschrien und beleidigt zu werden. Damals habe ich mich natürlich noch nicht gefragt, wie viel Druck eine Seele aushalten kann, ohne zu platzen, jetzt erstaunt es mich, dass ich nicht schon früher zusammengebrochen bin…


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