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Give me back my innocence (3)

in Outsider´s Room 13.04.2010 15:22
von Pierrot_307 • Pie-Rat (Kuchenratti) | 235 Beiträge

12.5 Jahre: Die erste Freundschaft, frustrierender Frankreichaustausch

Auch die Siebte Klasse brachte keine deutlichen Veränderungen mit sich. Es pendelte sich langsam alles ein und ich begann, alles so hinzunehmen, wie es kam.
Seit der fünften Klasse ging ich regelmäßig in den Schulchor, der jedes Jahr ein anderes Musical aufführte und in diesem war es der Froschkönig, in dem ich sogar die Stellvertretende Hauptrolle bekam! Zusammen mit dem gesamten Chor fuhren wir für 3 Tage in eine Herberge, um intensiv zu trainieren und zu üben. Da ich mich mit den Mädels eine Klasse unter mir prima verstand, kam ich zu ihnen in ein Zimmer, damit ich nicht wieder um meine Sachen Angst haben musste. Und zum Ersten Mal machte ich mir Gedanken darüber, mich nicht ein Jahr zurückstellen zu lassen. Meine Mathenoten waren ja eh so gut wie im Keller, es wäre also nicht sinnlos, und ich hätte vielleicht Freunde!
Doch unerwarteter Weise kam ich Karen, die Tochter unserer Vermieter, endlich einmal freundschaftlich näher und wir stellten fest, dass wir uns prima verstanden. Selbst nach der Chorfreizeit hielt der „Kontakt“ innerhalb der Klasse. Wir verbrachten die Pausen zusammen, redeten viel und ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, normal zu sein. Es waren mehr als 2 Jahre vergangen, die ich ohne Freundschaft hatte ausharren müssen und nun trat solch eine glückliche Wendung ein!
Was sich jedoch nicht änderte, das war die Einstellung meiner Klassenkameraden: Weiterhin nahm man mir während den kleinen Pausen, die wir im Klassenzimmer verbrachten, meine Sachen weg und warf sie (wie einen Ball) hin und her, damit ich auch ja wie blöd durch das Zimmer rennen und mich aufregen sollte. Ich weiß, wie blöd das ist, den Sachen hinterher zu rennen, aber die Fenster waren meistens offen und ich erinnerte mich noch gut an meinen Aufenthalt im Schullandheim. Irgendwann packte ich meine Sachen während der Pause immer in meinen Ranzen, egal ob wir das Zimmer wechseln mussten oder nicht. Doch auch ich bin ein normaler Mensch mit natürlichen Bedürfnissen und wenn ich auf die Toilette muss, dann kann das schwer vermieden werden, ohne dass ein Unglück geschieht. Ich habe keine Ahnung, wie oft ich zurückkam und meinen Ranzen am Kartenständer vorfand, voll gestopft mit verknülltem Papier. Auch eine Art, im Zimmer Basketball zu spielen, findet ihr nicht auch? Karen half mir dabei nie, ich mache ihr auch keinen Vorwurf. Sie war eben von der stillen Sorte und ich war froh genug, sie als Freundin zu haben.
Die Langeweile, die meine Mitschüler wohl immer zwischen den Stunden befiehl, erreichte einen neuen Spitzenwert, als Manuel von Klara, Christine und noch ein paar anderen mit den Schnürsenkeln an die Türe gefesselt wurde und man einen Stuhl über seinen Oberkörper stellte, auf dem jemand saß. Klingt vielleicht lächerlich, genau so sah das ganze auch aus, aber es hatte den Zweck, den Lehrer am Eintreten zu hindern. Als dieser dann die Türe aufmachen wollte, schliff er Manuel ein kleines Stückchen mit, bis er merkte, dass etwas nicht stimmte. Man ließ den armen Jungen aufstehen, er lachte zwar, wurde aber vom Lehrer (!!!!!) angemeckert, warum er sich denn nicht wehre. Soviel zum Thema Hilfe von Lehrern.
Die konnte ich auch nicht erwarten, als Robert und Michael, die irgendwann einmal am Tisch hinter mir saßen, anfingen, sich einen Spaß daraus zu machen, meinen Namen so oft sie konnten im Unterricht zu sagen. Natürlich versuchte ich, es zu ignorieren, aber versucht das mal, wenn jemand andauernd euren Namen sagt. GEHT NICHT!! Egal, wie sehr du dich konzentrierst, sobald dein Name fällt, hörst du auf, da schaltet dein Hirn um.
Was sich während meines 13. Lebensjahres auch herauskristallisierte, das war mein Kleidungsstil. Meine Mutter überließ mir zum Teil ihre Kleidung, unter anderem Markenklamotten, die ich deshalb anzog, weil sie mir gefielen, nicht wegen dem Namen. Oder Oberteile, an denen die Nähte außen waren. Dann meinten meine Klassenkameraden immer: „DAS IST DOCH FALSCH HERUM!! HAAAA HAAAA!!!“ egal, wie oft ich ihnen sagte, dass dies so gehört. Oder kennt ihr die Kleiderkollektion der ersten „Popstars“-Staffel? Die erste Staffel gefiel mir sehr, ich wurde auch ein Fan der No Angels und ich kaufte mir natürlich einen schwarzen Pulli mit „Popstars“ Aufdruck. Und wiiieder kamen dumme Sprüche „Hei, da hat jemand ein P vergessen! Das heißt doch Poppstars!!!“ Entschuldigt diesen Ausdruck ich gebe hier lediglich wieder, was sie mir an den Kopf geknallt haben. Doch trotz des ganzen Mülls, den sie von sich gaben, zog ich die Kleidung weiterhin an, mir war da alles irgendwann egal. Wenn man über Jahre hinweg gemobbt wurde, dann kommt irgendwann der Zeitpunkt, wo man all das als Normalzustand sieht, es fällt nicht weiter auf, dass man gemobbt wird, es wird alltäglich und man lernt damit zu leben. Es nervt zwar und ist auch nicht gerade gut für´s Ego, aber man gewöhnt sich langsam daran, da es ja immer wieder dasselbe ist und es anfängt, zu langweilen.

Leider hatte ich die Rechnung nicht mit dem Frankreichaustausch gemacht, der im selben Jahr stattfand. Es war der inoffizielle Austausch, da der eigentliche Austausch ja meist in der 8ten Klasse stattfindet. Dennoch durften ein paar aus unserer Klassenstufe, die Interesse hatten, daran teilnehmen. Und ich war (leider Gottes) eine von fünf aus meiner Klasse. Die Fahrt im Bus verlief leider alles andere als harmlos, ich wurde in unangenehmen Situationen fotografiert, wurde ausgefragt über allen möglichen Mist und so weiter. Selbst in Frankreich wurde ich verarscht bis zum geht nicht mehr, dabei muss ich jedoch anmerken, dass ich auch unverschämtes Pech hatte. Joelle, meine Tauschpartnerin, hatte gesehen, dass ich mir blaues Haarspray gekauft hatte und wollte mir das unbedingt in die Haare sprühen. Ich war begeistert, weil ich ja selber nicht so ganz damit zu recht kam und so nahm das Unglück seinen Lauf. Sie hatte es nämlich ein wenig übertrieben und am nächsten Morgen hatte ich trotz Haare waschen einen blauen Scheitel. Als dann die Älteren Schüler, aus den höheren Klassenstufen merkten, dass meine Klassenkameraden sich über mich lustig machten, stimmten ein paar gleich mit ein. Scheint so eine Art Sport für die gewesen zu sein. Was mich aber dennoch sehr glücklich machte, dass war das Verhältnis zu ein paar französischen Mädchen in meiner Klasse dort. Sie hatten nicht am Austausch teilgenommen, dennoch traf ich mich die meiste Zeit mit ihnen und verbrachte die Pausen auch in ihrer Gesellschaft. Ich fühlte mich bei ihnen so wohl, dass es mir, wenn ich so daran zurück denke, einen schmerzhaften Stich versetzt. Warum konnte ich in Deutschland nicht auch so ein Leben führen? Was war so schrecklich falsch gelaufen?
Als dann der letzte Tag kam und wir nach der ersten Schulstunde einen Ausflug machten, verabschiede ich mich schweren Herzens von meinen Freundinnen, wohl wissend, dass ich sie nicht wieder sehen würde. Im Bus wollte ich dann mit meinen Klassenkameraden ein wenig ins Gespräch kommen und meinte: „Die Austauschpartnerin von Marie spricht aber gut englisch!“ Sofort brachen alle in schallendes Gelächter aus. „Mensch, bist du blöd, die ist doch aus Wales!“ schrie mich Robert schließlich an. Ja, danke! dachte ich. Soll ich das jetzt schon riechen? Ihr könnt euch denken, dass ich danach nicht mehr sehr erpicht auf weitere Gespräche war.
Nach dem Ausflug kehrten wir doch noch einmal an die Schule zurück und als ich meine Mädels sah, rannte ich glücklich rufend auf sie zu und wurde stürmisch umarmt. Ein allerletztes Mal.
Das konnte ich auch gut brauchen, denn am selben Abend waren der Abschlussball und die Abfahrt, beides sehnte ich nicht herbei. Es verlief jedoch alles einigermaßen gut, bis auf die Tatsache, dass sich das Schloss der Toilettentüre, auf der ich war, irgendwie verklemmte und ich kurz eingeschlossen war. Als jemand anderes hinzukam rief ich natürlich um Hilfe, aber als ich auf die Frage, wer denn da drin sei mit meinem Namen antwortete, ging die Person gleich wieder. Klasse! Eigentlich leide ich nicht an Klaustrophobie (Platzangst), aber die Kabine war schrecklich klein und es war nicht mehr lange bis zur Abfahrt. Logo, dass man da leicht anfällig für Panik ist. Ich kam dann irgendwie von selber raus und verbrachte die meiste Zeit draußen auf dem Pausenhof, an einer Stelle, wo ich die Musik hören und ein Blick auf das Getümmel werfen konnte, aber mich niemand sah. Die Rückfahrt verlief relativ schlaflos, da die anderen, die einschliefen, fotografiert wurden und darauf hatte ich wieder keine Lust.
Zurück daheim überredete Karen mich, mit ihr ins Tischtennis zu kommen. Sie war da seit geraumer Zeit und ich freute mich, nicht alleine in einen Verein zu gehen. Es machte mir auch Spaß, was mich jedoch störte, war ein Geschwisterpaar, beide extrem Arrogant und herablassend. Mit ihnen konnte ich näheren Kontakt jedoch zum Glück meiden.
Bereits im zarten Alter von 13 Jahren wurde ich in den Bann von Stephen King gezogen. Aus Zufall fielen mir in einem Schreibwarenladen einmal 3 Bücher ins Auge, die ich mir auch nach und nach kaufte: Feuerkind, Shining und The Green Mile. Alle drei verschlang ich, Feuerkind las ich sogar mehrmals. Noch dazu begann ich, mir meine eigene Geschichte daraus zu machen, erfand ganze Kapitel des Buches in meinem Kopf neu und war „vernarrt“ in eine der männlichen Hauptpersonen. Typisch für das Alter möchte man meinen, aber diese „Vernarrtheit“ war der Anfang einer größeren Sache, die ich später näher erläutern werde.
Neben Stephen King faszinierten mich auch diese „Mystery“ und „Mystery Thriller“ Romane, die einmal im Monat erschienen. Ich war hin und weg von Horrorgeschichten und der Faszination für die Nacht.
Doch all das, was ich mir in meinem Zimmer „aufbaute“, half mir nicht gegen meine Mutter, der ich immer im Weg stand, nie etwas recht machen konnte und die mich scheinbar nicht verstehen wollte. Lernte ich in meinem Zimmer ließ sie sich stundenlang nicht blicken, machte ich aber nur mal 5 Minuten Pause, weil mir der Kopf qualmte, so war sie gleich zur Stelle und meckerte rum, ich solle doch lernen und bei meiner Dämlichkeit sei es ein Wunder, dass ich überhaupt noch auf dem Gymnasium sei. Was dann auch zu neuen Streitigkeiten führte, war der Serienstart von „the tribe – eine Welt ohne Erwachsene“. Diese kam immer um 17 Uhr, so um die Zeit, wenn wir zu Abend aßen. Meine Mutter mochte es nicht sehr, wenn beim Essen der Fernseher lief, doch wenn wir fertig gegessen hatten, durften wir gucken. Da ich selten fernsah, dachte ich eigentlich, dass ich die Serie gucken durfte, doch meiner Mutter fiel immer irgendetwas Anderes ein, um es mir zu verbieten. Als sie mal richtig in Rage war, da ich sie direkt darauf angesprochen hatte, dass ich doch kaum was gucke und mein Bruder fast immer vor der Flimmerkiste sitzt, da meinte sie so etwas wie: „Ihr könnt mich alle mal, ich zieh aus, dann hab ich meine Ruhe vor dir… bla bla bla!“
Natürlich versuchte ich auch, dieser Streiterei aus dem Weg zu gehen, was zwangsläufig dazu führte, dass ich die Serie meistens nicht sah, den Handlungsfaden und dann das Interesse verlor, da ich nicht mehr ganz mitkam. Nach und nach kam mir der Gedanke, dass ich im Gegensatz zu meinem jüngeren Bruder ungeliebt war und ob es nicht besser wäre, einfach abzuhauen, den ganzen bescheuerten Problemen den Rücken zu kehren und nichts mehr von mir hören zu lassen. Ich schrieb sogar Listen mit Dingen, die ich brauchen würde. Schon krass wie das damals war, aber ich habe mich nie getraut, aus Angst, gefunden und wieder zurückgebracht zu werden. Ja, soviel Vertrauen hatte ich in mich. Ich, die ja nie etwas richtig machen konnte, war sicher auch nicht dazu in der Lage, richtig abzuhauen und unterzutauchen.
Soweit war ich schon und immer war der Gedanke an eine Flucht eines meiner wenigen Rettungsboote.

(verzeiht bitte, ich hab grad bemerkt, dass ich einige Geschehnisse vertauscht habe. Ob der Austausch echt in der 7ten war, weiß ich nicht mit Sicherheit, davon steht nichts in meinem Tagebuch. Ich hoffe, ihr könnt mir verzeihen… die Zeit neigt zu verschwimmen, auch wenn ich mich genau an die Dinge erinnere, die mir angetan wurden.)


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